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Der Autofahrer ist immer schuld... oder?

29. Jan 2025

Gemäss dem Bundesamt für Statistik kam es im Jahre 2023 zu über 50‘000 Verurteilungen im Strassenverkehr – und dies ohne Ordnungsbussen. Mehr als in jedem anderen Rechtsgebiet. Der Volksmund weiss: Der Autofahrer ist immer schuld. Doch ist dem tatsächlich so? Und wie kann man sich wehren?

Die meisten Verurteilungen im Strassenverkehr erfolgen, nebst Ordnungsbussen, durch einen Strafbefehl. Der Strafbefehl ist kein Urteil, sondern ein Urteilsvorschlag. Er enthält eine Beschreibung des Sachverhaltes sowie das Strafmass. Ist man damit nicht einverstanden, muss man innert zehn Tagen Einsprache erheben. Wird nichts unternommen, erwächst der Strafbefehl zum Urteil.

Eine genaue Prüfung des Strafbefehls lohnt sich. Strafbefehle sind ein Massengeschäft. Der Sachverhalt kann falsch oder nicht beweisbar sein, es können sich Verfahrensfehler eingeschlichen haben oder es wird eine unverhältnismässig hohe Strafe festgelegt. Im Zweifelsfall gilt: Einsprache erheben und anwaltlichen Rat suchen. Der Anwalt erhält Akteneinsicht und kann so beurteilen, ob die Einsprache zurückgezogen oder weiterverfolgt werden sollte. Der Autofahrer ist dabei nicht immer schuld. Es muss auch im Strafbefehlsverfahren stets konkret nachgewiesen werden, mit welchem Verhalten er gegen welche Vorschrift verstossen hat.

Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Autofahrer fuhr nachts bei schlechten Witterungs- und Sichtverhältnissen innerorts mit 35 – 40km/h. Rund sechs Meter vor einem Fussgängerstreifen überquerte ein dunkel gekleideter Fussgänger, der bis anhin auf dem Trottoir ging, unerwartet die Fahrbahn. Trotz eingeleiteter Vollbremsung konnte der Autofahrer eine Kollision mit dem Fussgänger nicht mehr verhindern. Er wurde infolge mangelnder Aufmerksamkeit im Strassenverkehr durch Strafbefehl verurteilt. Der Autofahrer musste sich dagegen durch die Instanzen bis hin zum Bundesgericht wehren. Das Bundesgericht hielt fest, dass auch bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit eine Kollision mit dem Fussgänger nicht mehr zu verhindern gewesen wäre und sprach den Autofahrer frei.

Im Anschluss an eine strafrechtliche Verurteilung hat das Strassenverkehrsamt zu entscheiden, ob und wie lange der Führerausweis zu entziehen ist. Es stellt dabei auf den im Strafbefehl enthaltenen Sachverhalt ab. Geht man erst bei einem Führerausweisentzug gegen die falsche Feststellung des Sachverhaltes vor, ist es in der Regel zu spät. Gerügt werden kann dann nur noch die Dauer des Entzuges.

Wer sich auf der Strasse korrekt verhalten will, hat hohen Anforderungen zu genügen. Erhält man dennoch einen Strafbefehl, heisst dies noch nicht, dass man schuldig ist. Wer den Strafbefehl genau prüft, im Zweifelsfall Einsprache erhebt und sich anwaltlichen Rat sucht, ist gut beraten.

Dieser Beitrag erschien in der Thurgauer Zeitung am 29.01.2025.

Gian-Andrea Schmid

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Gian-Andrea Schmid, Rechtsanwalt
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